Aktiv & Vital KW 40/24
Heute möchten wir von einer Gerichtsverhandlung berichten, die uns Herr Hermann Schäfer zur Verfügung gestellt hat, dem wir dafür herzlichen Dank sagen. Wir haben den Text in seiner ursprünglichen Form übernommen, also in der Schreibweise von 1852, sodass die Schreibweise nicht unserer heutigen Form entspricht.
Bericht aus der Grünstadter Zeitung vom 7. Dezember 1852
Zweibrücken. Assisenverhandlungen. Sitzung vom 1. Dec.
Johann Steinbrecher, 17 Jahre alt, ledig und ohne Gewerbe, Sohn des Maurers J. Steinbrecher von Kerzenheim, ist der freiwilligen criminellen Verwundung der Ehefrau Seiler von Kerzenheim (seiner Tante) beschuldigt. Die Familien Seiler und Steinbrecher lebten seit längerer Zeit in Zwist und Uneinigkeit. Bei einer am 22. Septbr. stattgefundenen Balgerei, an der sich sämmtliche Familienangehörige beiderseits betheiligt zu haben scheinen und bei der es auf beiden Seiten Hiebe und Pfüffe setzte, soll der Angeklagte mittels eines Prügels oder einer Stange seiner Tante eine Kopfwunde beigebracht haben, deren Folge eine mehr als 20tägige Arbeitsunfähigkeit gewesen. Mehrere Zeugen behaupten, daß sie gesehen hätten, wie der Angeklagte, als die Streitenden gerade wie ein Knäuel aneinander hingen, von rückwärts beigeschlichen sei und der Ehefrau Seiler einen Schlag auf den Kopfe versetzt habe, daß sie besinnungslos zusammenstürzte, Auch die Ehefrau Seiler will den Angeklagten im Momente, da sie den Schlag erhielt, als den Thäter erkannt haben. Die Kopfverletzung der Getroffenen erschien von Anfang an als eine lebensgefährliche, da sie mit einer Gehirnerschütterung höheren Grades verbunden war. Der Schädelknochen war jedoch unversehrt geblieben, die Wunde selbst hatte ihren regelmäßigen Heilungsverlauf und der behandelnde kgl. Kantonsarzt von Göllheim erklärte die Verwundete am 20. Tage wiederhergestellt und zu leichten Arbeiten fähig, indem er die zurückgebliebene bedeutende Schwäche als eine Folge der eingeschlagenen und durch die Krankheits-Erscheinungen nothwendig bedingten streng antiphlogistischen Behandlungsweise darstellte. Der k. Untersuchungsrichter, durch den auffallenden Schwächezustand der Ver-wundeten veranlaßt, erhob ein weiteres Gutachten von einem andern k. Kantonsarzte, welcher nun die zurückgebliebene Schwäche und Unthätigkeit der die Bewegung vermittelnden Nerven als eine Folge der erlittenen Gehirnerschütterung und weniger als Folge der vollkomen zweckmäßigen Behandlung erklären zu müssen glaubte. Der Angeklagte läugnete, seine Tante geschlagen oder verwundet zu haben und behauptete, daß der verhängnisvolle Schlag von einem anderen der bei dem Streite Betheiligten geführt worden sein müsse. Die Geschworenen erklärten den Angeklagten einer einfachen Verwundung der Ehefrau Seiler unter Hinweglassung des erschwerenden Umstandes 20tägiger Krankheit und Arbeitsunfähigkeit, sowie unter Bejahung der von dem kgl. Assisengericht gestellten Reizfrage, für schuldig, worauf derselbe vom Gerichte mit 3monatlicher Gefängnisstrafe belegt und die Kosten verurteilt wurde. Die Anklage vertrat der k. Staatsprokurator Lang, die Vertheidigung hat Hr. Anwalt Vollmar geführt.